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Seit der Kindheit von Brieftauben fasziniert

Seit der Kindheit von Brieftauben fasziniert

>>Der Artikel ist im Wetterauer Zeitung am 09.04.2022 erschienen <<

 

Seit der Kindheit von Brieftauben fasziniert

 

Die gurrenden grau-blauen Haustauben kennt jeder. In den Augen vieler
Städter sind diese Allerweltsvögel oft ein Ärgernis. Aber Brieftauben mit ihrem
legendären Orientierungssinn sind etwas Besonderes. Ihre Haltung, Zucht und

Flugleistung ist in diesem Jahr in den Rang eines immateriellen Unesco-
Weltkulturerbes erhoben worden. Wir besuchen anlässlich des Welttags der

Brieftaube den Klein-Karbener Brieftaubenzüchter Heinz Fortmann.

I m Taubenschlag von Heinz Fortmann (57) in Klein-Karben gurrt es
ununterbrochen. Feiner Staub liegt in der Luft, denn regelmäßig schlagen die
Vögel mit den Flügeln. Es ist Brutsaison, und in den Nistzellen sitzen Tauben
auf ihren Eiern, mehr als zwei sind es nie. Männchen und Weibchen wechseln
sich ab, erklärt Fortmann. Von März bis August dauert die Brutsaison, nach 17
Tagen schon schlüpfen die Taubenjungen, und nach dem ersten Gelege erfolgt
sogleich das zweite. Für regelmäßigen Nachwuchs ist also gesorgt bei
Fortmann, der aktuell 40 Zuchtpaare versorgt. Die Gesamtzahl seiner
Brieftauben schätzt er auf 400. Täglicher Freiflug wird ihnen ermöglicht. Seine
Leistungsträger hält er besonders im Auge. Sie wird er in der beginnenden
Flugsaison auf Reisen schicken - erst die Altvögel, dann die Jungvögel. »Es
kribbelt schon«, sagt Fortmann, denn in der Brieftaubenzucht geht es auch um
die sportliche Leistung der Vögel und Meisterschaften. Ab Mai startet an jedem
Wochenende der »Kabinenexpress«, ein artgerecht ausgestatteter Lastwagen
für Tauben, mit dem die »Reisevereinigung Frankfurt-Taunus« die Tauben von
etwa 45 Züchtern beziehungsweise Taubenschlägen zu festgelegten
Auslassorten fährt. Insgesamt können es bis zu 2000 Tauben sein, die so zu
200, 300 oder gar 600 Kilometer entfernten Orten transportiert werden, um von
dort aus zurück in den heimischen Schlag zu fliegen. Der Züchter bleibt zu
Hause. Die Versorgung und den Auslass der Tauben am Einsatzort übernimmt
ein Flugleiter. Da die Tauben alle beringt sind und zusätzlich einen Chip tragen,
können die Züchter genau feststellen, ob und wann sie nach Hause gekommen
sind. »Am Einflugloch ist ein Antennenfeld, sodass jede Taube elektronisch
registriert und ihre Ankunftszeit erfasst wird«, erklärt Fortmann.

 

Eine Art »Sensor« im Schnabel
 

»Man weiß bis heute nicht genau, wie sich die Tauben orientieren«, sagt der
Züchter. Vermutet wird ein Sensor im Schnabel, mit dem sie das Magnetfeld
der Erde wahrnehmen können. In der näheren Umgebung merken sie sich
Gebäude und Landschaftsmerkmale. Fortmann war schon als kleiner Bub von
den besonderen Fähigkeiten und dem Charakter der Tauben fasziniert. Sein
Opa im heimischen Vechta habe ihm die ersten Vögel in Obhut gegeben und
sorgfältig darauf geachtet, dass sich der Enkel anständig um die Tiere
kümmerte. Sorgen musste sich der Opa eigentlich nicht machen. »Ich war
verrückt nach Tauben, erst Zuchttauben, dann Brieftauben«, gesteht Fortmann,
ein großgewachsener schlanker Mann mit kurzgeschnittenem weißen
Haarschopf. Er trägt Jeans und einen Sweatshirt, über den er eine schwarze
Lederjacke gezogen hat.

Aus dem Schlag holt er eine Taube: »Das ist mein Erwin«, sagt er und umfasst
sie mit ruhigen Händen. Dass es ein Altvogel ist, sieht man an der weißen,
dicken und gewölbten Nasenwarze, die den Schnabel fast verdeckt. Erwin wird
nicht auf Reisen geschickt, sondern ihn setzt Fortmann für die Zucht ein. »Das
ist ein ganz Guter«, sagt Fortmann und streicht Erwin beruhigend das Gefieder
aus. Charaktervoll sei der zehn Jahre alte Vogel und habe einen starken
Orientierungssinn und Heimwärtsdrang. Ob Erwin das in seinen Genen
weitergibt? Fortmann zuckt mit den Schultern. Er hoffe das, schicke die
Nachkommen auf die Reise mit dem »Kabinenexpress«, probiere aus, sortiere
aus, kreuze Verwandte oder andere Tauben ein.

 

Sie fliegen bis 120 Stundenkilometer

 

Wichtig ist dem Züchter die Gesundheit der Vögel, schließlich sind Brieftauben
Leistungssportler, die je nach Wetterlage mit dem Wind bis zu 120
Stundenkilometer schaffen und lange Strecken bewältigen müssen. Auch das
ist eine Kunst, die richtige Taube und das richtige Wetter zusammenzubringen.
»Manche Tauben fliegen gerne bequem und schnell mit dem Wind, andere
sind besonders stark in der Konkurrenz, wenn sie widrige Winde haben«,
erklärt Fortmann. Auch Nervenstärke bräuchten Tauben, um Raubvögeln
auszuweichen und nach Hause zu kommen.


 

Brieftauben zu züchten, das ist nach Ansicht von Fortmann ein faszinierendes
und anspruchsvolles Hobby.

Im Sommer will er zu einem Tag der Offenen Tür auf dem ehemaligen Gelände
des Klein-Karbener Kleintierzuchtvereins einladen. Einen Tip gibt er gerne:
Wer eine erschöpfte Brieftaube auf dem Balkon entdeckt, kann über den
Fußring mit Telefonnummer den Besitzer informieren.

 

Am Sonntag, 10. April, ist der Tag der Brieftaube. Coronabedingt wird es nicht
die üblichen Tage der offenen Tür von Brieftaubenzüchtern geben. Gefeiert

werden kann aber die Erhebung des Brieftaubenwesens zum UNESCO-
Weltkulturerbe. Damit ist das Wissen der Menschen um die Tauben gemeint,

die über Jahrhunderte entweder ganz friedlich als fliegende Boten eingesetzt
wurden oder in Kriegszeiten zur militärischen Nachrichtenübermittlung
missbraucht wurden. Die Brieftaubenzucht ist in Deutschland seit Kaisers
Zeiten bis heute fest etabliert, die Zahl der Züchter ist aber kleiner geworden.
dos

 

>>Der Artikel ist im Wetterauer Zeitung am 09.04.2022 erschienen <<


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